rebellen-net(t)iquette – Part #1

netiquette: „Gutes oder angemessenes und achtendes (respektvolles) Benehmen in der elektronischen Kommunikation“

 

In den letzten Wochen und Monaten habe ich viel Zeit in Online-Meetings und Online-Konferenzen verbracht. Und auch privat wird die „Videotelefonie“ immer mehr. Zum Thema Kommunikation – hier eindeutig digitaler Art – gab es für mich einiges zu erleben (;o) und zu lernen.

Als gute Rebellen versuchen wir Dinge gut, oder sogar besser zu machen – selbst und auch für andere. In diesem Zusammenhang also:

 

Online-Meetings für alle Teilnehmer und mich ermüdungsfrei, interessant und störungsfrei gestalten – egal ob als Einladender/Veranstalter oder Teilnehmer.

 

Ich möchte daher heute mein persönliches „Online-How-to“ mit euch teilen.

 

Die #rebellen-net(t)iquette

Ort und Ausstattung

Ich sorge für einen gut belüfteten Platz in einer ruhigen Umgebung, um frühzeitiger Ermüdung vorzubeugen.

Um Störungen zu vermeiden hänge ich ein Schild an meine Büro/Zimmer/Wohnzimmer/Kinderzimmer/…-Türe „Online-Meeting – bitte leise sein“.

Ein Fenster ist nur dann dauerhaft geöffnet, falls sichergestellt ist, dass keine Geräusche stören – dazu gehören auch Vogelgezwitscher, vorbeifahrende Autos oder spielende Erwachsene und Kinder.

Mein Handy ist leise und Vibration ausgestellt und liegt auf dem Display. Ich behalte es in Reichweite, falls etwas mit dem Konferenz-Tool nicht funktioniert, eine Online-Abstimmung per Handy durchgeführt werden soll, oder Ähnliches in Zusammenhang mit dem Meeting selbst.

Mein Sitzplatz bietet

  • genügend Raum für Rechner und Bildschirm oder den Laptop,
  • plus einen Block für Notizen,
  • ein Glas/Becher (ohne Löffel) nebst Flasche/Kanne für Wasser oder Tee und Untersetzer,
  • ein paar Kekse oder sonstige kleine Snacks,
  • und eine Packung/Box Taschentücher.

 

[- Auf all das achte ich übrigens auch bei Offline-Meetings -]

 

Weiter achte ich auf ein gut funktionierendes Equipment

Ein vernünftiges Mikrofon,
damit ich gut zu verstehen bin und nicht so laut zu sprechen brauche. Das ist nicht nur für mich anstrengend, sondern auch für die Zuhörer. Ich habe mir mittlerweile ein Stand-Mikro besorgt, da das eingebaute Mikro von meinem Rechner nicht so toll ist. Außerdem kann ich es direkt vor mich stellen.

 

Eine vernünftige Kamera, gemeinsam mit dem Monitor ungefähr auf Augenhöhe.
Es geht ja nicht nur darum ein qualitativ gutes Bild zu übermitteln. Wichtig sind auch der richtige Bildausschnitt und die Möglichkeit dem Gegenüber wenigstens einigermaßen in die Augen sehen zu können, ohne selbst den Bildschirm komplett aus dem Blick zu verlieren. Auch möchte ich nicht auf den/die anderen herauf- oder herabblicken. Insgesamt möchte ich mich natürlich bewegen können, ohne aus dem Bildbereich zu rutschen, gleichzeitig aber soll meine Mimik jederzeit gut erkennbar sein. Sonst könnten wir ja auch telefonieren. (:o)

Hier habe ich schon einiges ausprobiert, bin aber noch nicht ganz zufrieden. Der Zukauf einer frei positionierbaren Kamera hat schon viel gebracht. Was den Bildausschnitt angeht, wird es wohl nicht ohne Kompromisse gehen. Ich versuche eine bequeme Sitzposition und möglichst eng beieinanderliegende Sichtlinien auf Monitor und Kamera auszubalancieren. Ich richte die Bildschirmhöhe so aus, dass meine Augen auf Höhe des oberen Drittels sind, wenn die Kamera oben auf dem Bildschirm sitzt. Steht sie eher unterhalb des Monitors, versuche ich die Augenhöhe in Richtung des unteren Randes zu bekommen.

 

Nutze ich einen Laptop,
stelle ich ihn auf ein paar Bücher oder eine Bananenkiste. Nutze ich einen Tischmonitor, ist es einfacher, soweit er verstellbar ist.

 

Ein Handy
ist für mich übrigens nur im absoluten Notfall mal das Mittel der Wahl, denn dann ist der Bildausschnitt sehr klein, das Bild schwankt immer wieder – kurzum, aus Respekt für andere, sollte ich auf das Handy zur Teilnahme an Meetings verzichten.

 

Zum Bildausschnitt
gehört für mich auch mein Hintergrund. Je ruhiger der ist, desto besser kann ich wahrgenommen werden. Auch sollte er nicht spiegeln, oder sich bewegen.

 

Ausreichend Licht
von rechts, links und vorne, damit meine Mimik jederzeit gut erkennbar ist. Achtung: Nicht von hinten, sonst bin ich nicht mehr erkennbar.

 

Der Monitor
selbst sollte nicht zu klein sein, insbesondere wenn ich die Präsentation, mehrere Sprecher und vielleicht noch einen Raumausschnitt im Blick behalten möchte. Für mich ist das vor allem bei Diskussionen wichtig – Thema und Menschen gleichermaßen im Blick behalten zu können. Vielleicht arbeite ich ja auch aktiv am Bildschirm und suche gleichzeitig den Kontakt zu denjenigen, mit denen ich gerade an etwas arbeite. Der Blick in die Kamera hilft mir da nicht weiter. Wenn möglich, nutze ich daher zwei Monitore.

 

Vernünftige Lautsprecher.
Ich habe für mich festgestellt, dass ich deutlich weniger ermüde, wenn ich nicht über die doch eher plärrenden PC- oder Monitorlautsprecher zuhöre. Das gilt besonders, wenn mein gegenüber eben kein gutes Mikrofon hat oder brummelt.

 

Eine stabile Internetverbindung.
„Ich wähl mich nochmal ein“ wird wohl immer wieder passieren. Im Zweifel installiert das Betriebssystem gerade im Hintergrund ein Update, oder die Nachbarschaft streamt. Trotzdem versuche ich darauf zu achten, wie der Handy/W-Lan/Lan-Empfang ist.

 

 

Jetzt denkt ihr vielleicht „Puh – das ist teuer.“ Und je nachdem was das zugekaufte Equipment ist, stimmt das auch. „Und aufwändig“. Stimmt auch. Aber ziehen wir uns nicht für unsere gute Wirkung bei Meetings bewusst passend an? Wir sprechen deutlich und bei größeren Konferenzen und Tagungen nutzen wir Mikrofone und gute Beamer, verdunkeln den Raum und sorgen für eine ruhige Atmosphäre.

 

Einiges kann aber auch schlicht umfunktioniert werden: Wir nutzen den Monitor des Kollegen, der gerade im Homeoffice ist. Vielleicht können wir den auch gleich mit nach Hause nehmen, den Bildschirm – nicht den Kollegen (;o). Oder wir richten in der Firma ein paar Online-Meeting-Plätze ein. Außerdem sparen wir ja auch die eine oder andere Anreise.

 

Kopfhörer finde ich persönlich übrigens nicht so schön. Sie lösen zwar fast alle akustischen Probleme, ich selbst fühle mich aber in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt – das gilt auch für kabellose In-Ears. Bluetooth reicht halt nicht so weit und die Störgeräusche sind furchtbar, wenn ich mal kurz in die Bio-Pause muss. Und wenn mein Gegenüber Mickymäuse trägt – naja – da sind wir dann wieder beim Thema passend anziehen …

 

Vor dem Online-Meeting

Ich bin vorbereitet und pünktlich – das ist meines Erachtens in Online-Zeiten noch wichtiger als in Offline-Meetings. Das heißt für mich:

  • Ich habe kurz das Equipment gecheckt.
  • Ich weiß, welches Konferenz-Tool genutzt wird, habe mich vergewissert, dass ich die grundlegenden Bedienelemente kenne und dass ggf. der letzte Softwarestand installiert ist.
  • Ich habe mich gecheckt – am Besten über das Testbild am Monitor.
  • Brille sauber.
  • Bio-Pause gemacht.
  • Handy lautlos.
  • Ich weiß wer teilnehmen wird.
  • Ich bin eher 5 Minuten früher im Online-Raum und warte vorbereitet-entspannt auf den Start.

 

Im Meeting

Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht von Anfang an ausreichend Pausen zu vereinbaren und vorher anzukündigen, wann diese sind:

  • Bio-Pausen
  • Getränke nachfüllen
  • Strecken und Atmen, vielleicht ein kurzer Spaziergang durchs Haus/Büro

 

Spätestens ab einer Gruppengröße von 5 oder mehr Personen ist es hilfreich neben dem Vortragenden einen Online-Moderator zu benennen, der auf Wortmeldungen und Sprechzeiten achtet, Hilfestellung bei technischen Problemen geben kann und Nachzügler (wieder) ins Meeting lässt.

Zu Beginn hilft es sehr abzufragen, ob alle Teilnehmer mit dem Konferenz-Tool vertraut sind. Das würde ich selbst bei einer größeren Teilnehmerzahl in Kombination mit einer kurzen Vorstellungsrunde einzeln machen.

 

Anschließend hilft es einige Regeln zu vereinbaren:

  • Bitte die Mikrofone ausmachen, wenn nicht gesprochen wird – ja, ich weiß – ein Evergreen.
  • Den Chatbereich öffnen.
    • Für Fragen und Wortmeldungen.
    • Für Anregungen und Anliegen an den Online-Moderator.
  • Die Kameras eingeschaltet lassen. Das schafft Vertrauen und ermöglicht eine persönlichere Ansprache. Wir treffen uns ja in einer Videokonferenz, um auch visuell zu interagieren. Das gilt für beide Seiten. Wenn der Vortragende neben seinen Folien auch interessierte Gesichter sieht, wird er mehr Spirit rüberbringen. Und wenn ich mir als Teilnehmer bewusst bin, dass ich in der Gemeinschaft sichtbar anwesend bin, bekomme ich ebenfalls mehr mit. So geht es mir zumindest.
  • Auch wenn sich alle Teilnehmer mit dem Konferenz-Tool auskennen, finde ich es gut daran zu erinnern, dass, je nach verwendetem Tool, unterschiedliche Ansichten eingestellt werden können und es sich lohnt das während des Meeting auch zu tun:
    • Nur der Sprecher (langweilig)
    • Alle Teilnehmer (macht je nach Monitorgröße am meisten Spaß)
    • Sprecher groß und der Rest kleiner daneben (dito Monitorgröße)
    • Nur die Präsentation/der geteilte Bildschirm (würde ich nicht empfehlen)
    • Die Präsentation und der Sprecher (Passt während des Vortrags)
    • Die Präsentation und der Sprecher, sowie kleiner die anderen Teilnehmer (Yeah!)
  • Langsam und deutlich sprechen.
  • Sich nicht während des Sprechens vom Mikro entfernen oder die Hand vor den Mund halten.

 

Zum Schluss vielleicht noch ein paar Dinge, die ich vermeide

Ich spreche nach Möglichkeit nicht nebenbei mit nicht sichtbaren Personen. Das gilt besonders dann, wenn das Online-Meeting sensible Themen behandelt.

Ich achte jeweils auf meine Position zur Kamera, wenn ich mich bewege, wenn ich vielleicht aufstehe, um etwas zu holen. Ob die anderen Teilnehmer so interessiert am Reißverschluss meiner Hose sind … ich glaube nicht.

 

Soweit für dieses Mal. Bleibt gesund! Habt Online Spaß!

Euer Oliver

Wird Kommunikation erst heute wichtig?

In den letzten Wochen und Monaten der Pandemie konnten wir alle erleben, wie Stimmen laut geworden sind – sei es im Radio, in Interviews, in Artikeln oder im Bereich Social Media – die immer wieder Botschaften verkünden, wie

 

„Kommunikation wird immer wichtiger“

oder

„Warum die interne Kommunikation in Zeiten von Corona wichtiger ist denn je“

oder

„Nie war Kommunikation von Unternehmen wichtiger, herausfordernder, aber auch chancenreicher“

 

Und jedes Mal wenn ich eine dieser Aussagen höre denke ich:


Das fühlt sich so für mich nicht richtig an.

 

Unser Forschungsprojekt ist ja entstanden, weil ich in meinen Beratungsprojekten immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass der Fokus von Auftraggebern oft eher auf Prozessoptimierung oder Strategieentwicklung liegt – Kommunikation und Kultur dabei für die Umsetzung aber meist als nicht relevant angesehen werden. Dadurch konnte ich – zumindest aus meiner Sicht – nicht die Erfolge erzielen, die möglich gewesen wären. Mein Frust ist dadurch stetig gewachsen.

 

Aus meiner Sicht war und ist Kommunikation schon immer wichtig – das Bewusstsein für diese Wichtigkeit nimmt nur in der aktuellen Situation zu.

 

Aber warum ist das eigentlich so?

Warum ist das Bewusstsein für die Relevanz von Kommunikation – und ihr kulturelles Umfeld – in Unternehmen bisher so gering ausgeprägt?“

 

Vielleicht haben wir nach der Auswertung unserer ersten Interviewreihe bereits eine grobe Idee, mit welchen Hemmnissen für das Thema Kommunikation wir es zu tun haben.

 

Vielleicht habt ihr aber dazu schon heute eine These oder Idee die Ihr mit uns teilen mögt?


Dann schreibt uns eine Mail oder hinterlasst hier eine Nachricht.

 

Eure

Ines

 

 

PS:
Wir arbeiten übrigens gerade auf Hochtouren an unseren ersten Studienergebnissen, die wir dann auf dem „Digital Leadership Campus“ der leadershipgarage am 05. November vorstellen werden.

Das Potenzial der persönlichen Haltung 

Wir haben im Rahmen des Projektes schon viele tolle Kontakte geschlossen und möchten mit euch, neben unseren persönlichen Sichtweisen und Erfahrungen, natürlich auch andere Perspektiven und Erkenntnisse teilen. Freut euch künftig also immer wieder auf spannende Gastbeiträge.

Und damit wünschen wir euch viel Spaß mit unserem ersten Beitrag von Martin Permantier zum Potenzial der persönlichen Haltung.

 

Digitale Transformation braucht persönliche Entwicklung
von Martin Permantier

Wenn wir die digitale Transformation aktiv gestalten wollen, ist das Mindset und damit der Reifegrad der Persönlichkeit aller Beteiligten entscheidend. Die Fähigkeit zur Transformation wächst, je weiter der Horizont aller reicht. Es kommt darauf an, wie wir die Welt sehen.

Dieses persönliche Bild von der Welt verändert sich im Laufe unserer Reifung. Wie dies geschieht, haben Forscher vielfach untersucht und interessante Erkenntnisse gewonnen. Auf Grundlage dieser Forschungsergebnisse haben wir (Short Cuts GmbH) ein Modell entwickelt, das hilft zu erkennen, in welcher Haltung Führung und Mitarbeitende handeln. Dadurch wird sichtbar, wo Entwicklungspotenziale für die Individuen und für das Unternehmen liegen.

 

Wenn die Führung sich selber weiterentwickelt und lernt, emotional zu führen, kann sie Mitarbeitende in unterschiedlichen Haltungen optimal führen.

 

Das hilft, Umbruchsituationen und neue Herausforderungen gut zu meistern. Das Unternehmen gewinnt dann an Innovationskraft und wird damit auch interessant für „High Potentials“.

 

Haltung ist individuell

Jeder kennt das: Sie sind in einem Unternehmen und haben das Gefühl, „Die ticken anders“, „Irgendwie ist das hier nicht meine Welt“, „So wie die will ich nicht arbeiten“. Was anderen Menschen wichtig und bedeutsam erscheint, stößt Sie vielleicht ab oder ist schlicht uninteressant für Sie. Das liegt ziemlich wahrscheinlich daran, dass Ihre (eigene) Haltung und die Haltung des Unternehmens nicht zueinander passen.

Die Haltung, das Mindset wird bestimmt von der Art und Weise, wie wir unser Weltbild konstruieren. Wie sich diese Wirklichkeitskonstruktion im Laufe unserer Reifung verändert, ist von vielen Entwicklungspsychologen untersucht worden. Dazu gehören Jean Piaget, Abraham Maslow, Ken Wilber, Jane Loevinger und Clare Graves.

 

 

 

Neu sind zwei Erkenntnisse: Diese Entwicklungen sind nicht mit einem bestimmten Alter abgeschlossen und Kulturen entwickeln sich auf ähnliche Weise – als kollektives Abbild unserer inneren Reife. Die Entwicklung der Haltung zu fördern, bedeutet nicht, dass alle mit dem gleichen Mindset unterwegs sein müssen. Es ist allerdings hilfreich, insbesondere in den Führungsfunktionen, Menschen mit einem hohen Reifegrad einzusetzen, die eine gewisse Bandbreite an Haltungen einnehmen können. Denn die bisher durchlaufenden Haltungen bleiben also im Handlungsrepertoire erhalten.

 

Führungskräfte mit einer reifen Haltung bringen die Voraussetzungen für zwei wesentliche Aufgaben der Führung mit:

  1. Die Haltung ihrer Mitarbeitenden zu erkennen und sie so zu führen, dass sie ihren optimalen Beitrag zum großen Ganzen leisten können. Unabhängig davon, ob sie Dienst nach Vorschrift leisten oder selbstorganisiert arbeiten.
  2. Mitarbeitende, die sich weiterentwickeln wollen, darin zu unterstützen.

 

Das ist im Grunde das, was wir in einem tieferen Sinn unter einem attraktiven Arbeitgeber verstehen: Unternehmen, die ihre eigene Haltung reflektieren und ihren Mitarbeitenden mit ihren unterschiedlichen Haltungen Möglichkeitsräume bieten

 

 

1. Die Entwicklung von Haltungen

Die biographisch nacheinander entstehenden Haltungen und Reifegrade lassen sich wie folgt beschreiben:

 

Die selbstorientiert-impulsive Haltung

In unserer Entwicklung durchlaufen wir diese Lernphase im Alter von ca. zwei bis fünf Jahren. In der selbstorientiert-impulsiven Haltung sind wir noch stark in uns und unseren Bedürfnissen gefangen. Unsere Gedanken und Gefühle sind uns noch nicht bewusst. Reflektierendes Denken und das Erfassen längerer Zeiträume ist in dieser Haltung noch nicht möglich. Feedback wird zurückgewiesen und wir bleiben im stereotypen Denken, das sich vor allem auf Konkretes und wenig auf Abstraktes bezieht. Andere Menschen sind Mittel zum Zweck und unser Verhalten ist opportunistisch geprägt.

Unser eigenes emotionales Erleben können wir noch nicht erfassen oder steuern. Es fehlt die Kompetenz, anderen Menschen empathisch zu begegnen. Die Denkweisen sind eher simpel, die anderen sind immer Schuld und der andere hat angefangen. Wir sind tendenziell in einer Verteidigungshaltung, weil es an innerer Sicherheit und echter Selbstbewusstheit fehlt.

 

Die gemeinschaftsbestimmt-konformistische Haltung

Wir lernen diese Haltung ab dem Zeitpunkt, wo wir bewusst von „Wir“ sprechen. Sie begleitet uns meist durch die Grundschulzeit. In der gemeinschaftsbestimmt-konformistischen Haltung lernen wir Regeln und Normen, die sich an unserem Umfeld ausrichten. Unsere Gedanken und Gefühle sind noch unterdrückt. Unsere Identität wird stark durch die Zugehörigkeit zu einem „Wir“ definiert und weniger durch unsere Individualität. Gehorsam und Unterordnung sind in dieser Haltung vorherrschend. Damit verbunden sind starke Schuldgefühle, wenn wir den Konventionen nicht entsprechen. Wir haben den Wunsch, das Gesicht zu wahren. Wir stehen unter einem hohen Anpassungsdruck, der uns Konflikte vermeiden lässt. Lieber vermeiden wir und weichen aus. Unsere eigenen Gefühle und unser Innenleben sind für uns noch schlecht greifbar. Kritik wird akzeptiert, wenn sie sich auf die Prinzipien bezieht, die extern festgelegt wurden. „Der Lehrer hat aber gesagt, dass …“

 

Die rationalistisch-funktionale Haltung

Die rationalistisch-funktionale Haltung ist die nächste Kompetenzerweiterung und der Beginn des psychologischen Ich. Die beginnende Selbstwahrnehmung erlaubt uns einen differenzierten Blick auf uns selbst. Jetzt können wir verschiedene Perspektiven sehen und werden urteilsfreier. Der Wunsch nach mehr eigener Meinung und nach Abgrenzung entsteht. Wir entwickeln eigene Ansichten darüber, was richtig und falsch ist. Dabei orientieren wir uns an klaren Standards. Wir üben uns im rationalen Denken, in dem kausale Erklärungen vorherrschen. Von langen Debatten halten wir wenig. Wir legen eher Wert auf Effizienz als auf Effektivität. Unsere Gedanken sind uns bewusst, unsere Gefühle noch nicht. Wir erleben uns selbst noch von externen Anforderungen getrieben, innerhalb derer wir glauben, funktionieren zu müssen. In unserer eigenen Entwicklung durchlaufen wir diese Haltung in der Regel mit Beginn der Pubertät.

 

Die eigenbestimmt-souveräne Haltung

In der eigenbestimmt-souveränen Haltung entwickeln wir eigene Werte und Vorstellungen. Diese persönlichen Maßstäbe geben uns Orientierung im Leben. Eine starke Zielorientierung und der Wunsch nach Selbstoptimierung bestimmen diese Phase. Aus der Souveränität, die wir durch diese erweiterten Kompetenzen gewinnen, entfaltet sich ein reicheres Innenleben, das die Komplexität von Situationen akzeptiert und Respekt vor individuellen Unterschieden hat. Wir stehen in dieser Haltung selbstbewusst im Leben und entscheiden, mit wem wir welche Beziehung eingehen. Unsere Gefühle sind und erst zum Teil bewusst. Die eigenen blinden Flecken und die eigene Subjektivität werden häufig noch nicht gesehen. Das „Ego“ ist in dieser Haltung am größten. Es entspricht dem eines späten Teenagers, der vieles weiß und sehr kompetent ist, dessen Empathievermögen sich aber noch nicht ganz entfaltet hat.

 

Die relativierend-individualistische Haltung

Die relativierend-individualistische Haltung macht uns bewusst, wie die eigene Wahrnehmung die Sicht auf die Welt prägt. Jetzt nehmen wir auch unsere Gefühle bewusst wahr. Wir fangen an, unsere und die Sichtweise anderer zu relativieren und zu hinterfragen. Mit dieser Kompetenz entwickelt sich unser Empathievermögen weiter und wir erkennen in uns und im Außen Widersprüche, denen wir vorher eher mit Ignoranz und Zynismus begegnet sind. Wir sehen, dass jeder Mensch geprägt ist durch seine grundlegenden Eigenschaften, seine Kultur und seine eigene Geschichte. Wir lernen, dies in unserer Kommunikation zu berücksichtigen. In dieser Haltung wird uns unser emotionales Innenleben bewusster und wir entdecken es als zusätzliche relevante Wahrnehmungsressource. Die entstehende Mannigfaltigkeit von neuen Facetten und Zwischentönen lässt uns individualistischer und authentischer werden.

 

Die systemisch-autonome Haltung

Mit der systemisch-autonomen Haltung erweitern sich unsere Kompetenzen um die Fähigkeit zur voll ausgebildeten Multiperspektivität und wir lernen, Beziehungen systemisch zu erfassen. Das Erkennen von zirkulären Verbindungen erlaubt uns, widersprüchliche Meinungen und Aspekte zu integrieren. In dieser Haltung sind wir offen für die kreative Auseinandersetzung mit Konflikten und können mit Mehrdeutigkeiten umgehen. Wir respektieren die Individualität und Autonomie unseres Gegenübers und sind bereit, die volle Verantwortung für uns selbst, unser Denken, Fühlen und Handeln zu übernehmen. Dies führt zu einer hohen Motivation, sich selbst zu entwickeln und zu einem noch stärkeren Bewusstsein für die eigenen inneren subjektiven Deutungsmuster. Wir können unsere Gedanken und Gefühle als subjektiv erkennen und haben so wesentlich mehr kooperative Handlungsoptionen. Es entsteht ein Konstruktgewahrsein, also ein Verständnis dafür, dass wir uns und die Welt ständig neu konstruieren.

Die Haltungen bauen aufeinander auf. Jede neue Haltung, die wir erlernen, schließt also die vorhergehenden ein. In schwierigen Situation und unter Stress ist es ganz normal, in eine oder mehrere Haltungen „zurückzufallen“. Dann ist wichtig, sich das zu vergegenwärtigen, um so schnell wie möglich wieder in die gewünschte Haltung zurückzukehren.

 

 

2. Das eigene Verständnis von Führung reflektieren

Machen Sie ein kleines Experiment und komplettieren Sie folgende Satzstämme. Ergänzen Sie die Sätze, wie Sie möchten. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Alles ist erlaubt. Sie dürfen so tiefsinnig und komplex sein, wie sie wollen.

Finden Sie zunächst für sie persönlich stimmige Sätze und notieren Sie sie. Anschließend vergleichen Sie diese dann mit unseren Beispielantworten, die Sie hier finden, und ordnen sie entsprechend den unterschiedlichen Haltungen zu. In den jeweiligen Satzvervollständigungen spiegelt sich wider, welche Haltung wir nutzen und schon verinnerlicht haben.

Am interessantesten ist es, wenn Sie die Reflexionssätze mit mehreren Kollegen machen und dann vergleichen.

 

Los geht’s:

  1. Die Aufgabe einer Führungskraft ist …
  2. Das, was ich an mir als Führungskraft mag, ist …
  3. Was mich in Schwierigkeiten bringt, ist …
  4. Wenn Mitarbeitende hilflos sind, …
  5. Erfolg ist(,) …
  6. Regeln sind …
  7. Mein Hauptproblem als Führungskraft ist(,) …
  8. Wenn ich an meine Grenzen stoße, …
  9. Andere zu führen, …
  10. Wenn ich Macht über andere ausübe, …
  11. Wenn ich kritisiert werde, …
  12. Mein Gewissen plagt mich, wenn …

 

Die Satzvervollständigungen der Reflexionssätze und ihre Zuordnung zu unterschiedlichen Haltungsmustern veranschaulichen uns unser Führungsverständnis, sie machen es transparent und diskutierbar. Das Bewusstsein für die eigene Haltung(en) und die Wahrnehmung von Haltungen anderer ermöglichen uns ein besseres Verständnis untereinander.

 

Die meisten Probleme entstehen dann, wenn wir aus unterschiedlichen Haltungen und den damit verbundenen Weltbildern miteinander kommunizieren. Dies ist uns oft nicht bewusst, weil jeder jeweils glaubt, dass seine subjektive Sicht die „richtige“ ist.

 

Es ist eine gute Idee, diese Selbstreflexion gemeinsam im Führungskreis durchzuführen. Dabei ist wichtig: Es gibt keine richtige oder falsche Haltung. Es geht vielmehr darum, sie zu erkennen und dann zu entscheiden, wo sie am besten einsetzbar ist, um förderlich für das Gesamtergebnis zu wirken.

 

3. Die Haltung der Führung prägt die Organisation

Je nach Reife und Persönlichkeitsentwicklung fällt es uns leichter oder schwerer, unsere Haltung zu wechseln. Eine Haltung ist nichts Statisches. Wir wechseln sie oft situativ. Oft haben wir jedoch einen biographisch geprägten Schwerpunkt in einer bestimmten Haltung. Von ihm aus deuten wir die Welt. Entsprechend unterscheiden sich unser Führungsstil und unser Werteverständnis. Die Haltungen sind wie eine Brille, durch die wir auf die Welt schauen und uns selber unser Weltbild, unser Narrativ über unser Leben konstruieren. Mitarbeitende in einer reiferen Haltung werden sich nur ungern von jemanden führen lassen, der eine einfache Weltsicht hat und sich zum Beispiel nur an Zahlen orientiert. Agilität ist in controllingfixierten Konzernstrukturen nicht zu erreichen. In vielen Organisationen sind daher die Führungskräfte zum Engpass geworden.

 

Die große Herausforderung in der digitalen Transformation ist, gewohnte Haltungen zu erweitern, sich selbst zu hinterfragen und zu einem echten „Wir“ zu finden.

 

Dies wird möglich, wenn wir Urteile und Zynismus loslassen und wahrhaftiger miteinander interagieren. Diese Entwicklung hin zur Selbstführung und sinnhaftem Tun erfordert die Bereitschaft, neue innere Haltungen einzunehmen. Alte Deutungsmuster, wie die Dinge sind und zu sein haben, können dann losgelassen werden. Das ist ein innerer Prozess, der Zeit und Geduld braucht

 

4. Den Potenzialraum erweitern und die Transformationsfähigkeit stärken

Die Transformationsfähigkeit der Organisation wird dadurch bestimmt, wie gut die Entfaltung aller einzelnen Mitarbeitenden gelingt und wie entwicklungsfähig das Unternehmen insgesamt ist. Diese Fähigkeit zur Transformation lässt sich fördern, indem wir die vorherrschenden Haltungen in Bezug auf vier Aspekte beleuchten und ggf. weiter entwickeln:

  1. Wie ist die Persönlichkeitsentwicklung, das Mindset der Mitarbeitenden?
  2. Welche Verhaltensmuster sind bei den Mitarbeitenden aktuell vorherrschend?
  3. Welche Strukturen und Prozesse nutzen wir?
  4. Was sind die wichtigsten Glaubensätze und Wertevorstellungen unserer Unternehmenskultur?

 

 

Gerade durch das Phänomen der Generation Y sind die Unterschiede der bisher verbreiteten Haltungen und Wertvorstellungen zu den Bedürfnissen der jungen Mitarbeitenden deutlich geworden. Sie empfinden die Strukturen und die Kultur – gerade in großen Unternehmen – als zu starr und unattraktiv. Sie entsprechen nicht mehr ihrer Haltung und ihrem Selbstverständnis.

Viele Unternehmen nutzen noch controllingorientierte Prozesse und starre Stellenbeschreibungen, die Menschen zu Funktionseinheiten machen. Aus rationalfunktionaler Sicht hat das früher Sinn gemacht. Menschen, die gelernt haben, eigenverantwortlich zu arbeiten, sind davon aber abgestoßen.

Viele Unternehmen hoffen, durch Einzelmaßnahmen wie der Einführung von Design Thinking oder agilen Methoden, die Mitarbeitenden innovativer und veränderungsbereiter zu machen und auf ihr Verhalten einzuwirken. Sie vergessen dabei, dass das Verhalten durch eine Anpassung an die Unternehmenskultur und die existierenden Strukturen erzeugt wird. Die Folge ist, dass viele Menschen unter ihren Möglichkeiten bleiben, nicht weil sie nicht wollen oder können, sondern weil es systemische Hindernisse gibt. Die eigentlichen Hindernisse liegen oft in den starren Strukturen und einem hierarchischen Führungsverständnis.

Das Modell der Haltungen gibt Unterstützung, um diese Differenzen aufzudecken und gezielt zu entwickeln. Der Potenzialraum sollte auf allen Ebenen etwa gleich weit entwickelt sein. Im Idealfall sind die Kultur und die gelebten Werte etwas reifer als die Mitarbeitenden. So wird die Kultur zu einer zusätzlichen Führungskraft und nicht zu einem demotivierenden Hindernis. Gleichzeitig braucht es ein systemisches Verständnis der Führung, um zu erkennen, wo die einzelnen Mitarbeitenden stehen und welche Art der Führung für sie die passende ist. Nicht alle Mitarbeitenden tun sich leicht mit Eigenverantwortung oder Selbstführung. Ist allerdings das Mindset der Führung, ihre Reife der Engpass, behindert das die Entwicklung der ganzen Organisation.

Ein Unternehmen, das gezielt neue Mitarbeitende in einer reiferen Haltung rekrutiert, um seine Innovationskraft zu stärken, tut gut daran, dies ihnen gegenüber genauso zu kommunizieren. Das vermeidet Enttäuschung auf beiden Seiten und sorgt dafür, dass dieses Vorgehen erfolgreich sein kann.

Denn bei der Stärkung der Transformationsfähigkeit steht eines klar im Vordergrund: Die Persönlichkeitsentwicklung der Führung hin zu mehr emotionalen Kompetenzen. Als Kulturprägende ist die Wirkung der Führung auf das gesamte System entscheidend. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist dabei ein wichtiger Teilaspekt hin zur Kompetenzerweiterung zu einer empathischen, systemischen Führung.

 

„culture eats strategy for breakfast, structure eats culture for lunch, mindset eats structure for dinner“

 

Für euch evtl. auch interessant:

Führung ist auch eine Frage der Haltung

 

FORTBILDUNGEN „Haltung entscheidet“:

  • Ab 30.10 bieten wir eine achttägige Ausbildung zu dem Modell der sechs Haltungen an.
    www.haltung-entscheidet.de/ausbildung/
  • 7.12.2020 Impuls-Workshop – Einführung in das Modell der Haltungen
  • 26/27.2.2021 Kompakt-Seminar – Haltung entscheidet